Dienstag, 9. November 2010

inner colors - Silvio





Silvio Vujičićs künstlerisches Vorgehen ist auf den Prozess fokussiert. Ihn interessieren hybride Formen, die sowohl einer wissenschaftlichen Grundlage nicht entbehren, als auch künstlerischen und ästhetischen Gestaltungsregeln folgen. In früheren Arbeiten zeigte sich diese Hybridität in der Verknüpfung historischer Gegebenheiten mit einer zeitgenössischen Formensprache. So erfährt beispielsweise der Genter Altar von Jan und Hubert van Eyck aus dem 15. Jahrhundert, durch eine radikal minimalistische Darstellung von Seiten Vujičićs, einen zeitgenössischen Zugang: Der Alchemic Polyptic (2009) negiert den ursprünglich farbenprächtigen Flügelaltar, dieser erscheint in seiner Farblosigkeit und simplen Holzkonstruktion formal reduziert.

Denkt man nun, für Vujičić spielten Farben keine Rolle, täuscht das: Silvio Vujičić, ein moderner Alchemist, arbeitet durchaus mit Pigmenten. Pigmente sind auf dem jeweiligen Trägermedium unlöslich, besitzen Festkörpereigenschaften und weisen im pulverisierten Zustand eine kristallene Struktur auf. Diese Pigmentstabilität, die im Gegensatz zu dem Verhalten von Farbstoffen steht, ist der Ausgangspunkt von Vujičićs Arbeiten. Das letztendlich gewählte Trägermedium variiert dabei, ist aber immer in Verbindung mit Pigmenten anzutreffen. Die daraus resultierenden installativen Werke referieren somit auf eine ausdauernd recherchierte Pigmentsorte.

Für PLATFORM3 erarbeitet Silvio Vujičić, auf Grundlage der Pigmente Magnetit, Graphit, Kalzit und Muschelschalen-Pigmenten, eine raumgreifende, ortsspezifische Installation. Ausgangspunkt dieser Arbeit ist ein Besuch bei Kremer Pigmente GmbH & Co. KG in Aichstetten, Europas führendem Pigmentexporteur. Kremers Farblabor ist eine Art Wunderkammer der Farben. Trotz des dortigen farblichen Überangebots interessieren Silvio Vujičić die mineralischen Nicht-Farben unter den Pigmenten. Diese sind es auch, die ihn zurück nach Zagreb in sein Atelier begleiten. Die Experimentierphase beginnt.

Die Installation von Silvio Vujičić sensibilisiert den Betrachter, um einen ephemeren Moment greifbar zu machen. Zu jedem Zeitpunkt werden unterschiedliche Aspekte des Werkes erfahrbar, die in der Installation angelegt sind. Wann und in welcher Form diese stattfinden, bleibt für den Betrachter jedoch ungewiss. Der Ausstellungstitel inner colors spielt bewußt mit den inherenten Farben und der nach außen wirkenden, scheinbaren Farblosigkeit. Vujičić öffnet neue Zugangsmöglichkeiten zur Idee von Farbe und deren Wahrnehmung sowie zur ortsspezifischen Strukturierung des Raumes. Er teilt den Zentralraum, schließt den gewohnten Eingang und definiert Wege neu.

Insgesamt werden drei Werke von Vujicic innerhalb der installativen Anordnung inner colors präsentiert. Curtain (2008/2010) ist eine Arbeit, die nur am Eröffnungsabend zu sehen ist und sich in dessen Verlauf langsam auflösen wird. Sie besteht aus Polyvinylalkohol und zieht sich quer durch den Raum. Wasserspritzer, welche sich über eine Schlauchkonstruktion auf den Stoff ergießen, zersetzen den Vorhang in einem schleichenden Prozess. Ein flüchtiger Moment wird kreiiert. Curtain, hier als augenscheinlicher Vorhang, der letzten Endes aber nicht dazu dient, den Blick hinter die Kulissen zu verhindern, sondern bei geduldigem Ausharren das Dahinter durch seinen selbstzerstörerischen Moment offenbart.
Vujičićs zweite Arbeit findet sich in genau diesem Spannungsfeld wieder. Der Vorhang kann die Blicke für einen Moment stoppen, aber nicht den illustrativen Sound abwehren: Ein tosendes Geräusch dringt nach außen. Ursprung ist die mechanische Installation Cloud (2010), die ein weißes Pulver – ein Gemisch aus Muschelschalen-Pigmenten und Kalzit – in die Halle der PLATFORM3 pustet. Die mit Magnetit und Graphit geschwärzte Wand ergraut dadurch mehr und mehr, der weiße Staub verteilt sich unweigerlich in den Räumen. Eine zeitgenössische Form von Malerei passiert.
Flankiert wird das Geräusch von einem plätschernden Klang, dem dritten Werk innerhalb der Schau: Fountain (2010). Das Wasser des Brunnens ist mit Graphit-Pigmenten versehen, ein Lichtstrahler durchleuchtet die schimmernde Masse. Das Prinzip des Vorhangs wiederholt sich hier in umgekehrter Form. Eine fragile Komposition zwischen Tuch und Papier saugt sich mit Graphit-Pigmenten voll, wird immer blickdichter und letzten Endes schwarz. Ob es sich auch auflösen wird, ist nicht klar. Aber auf die eine oder andere Weise verändert sich auch diese Anordnung.

Die spezifische Ortsbezogenheit der Installation, die nicht explizit wahrgenommen wird, spielt eine wichtige Rolle für die Rezeption der Arbeit. Durch die Werkanordnung innerhalb der Ausstellung, beginnen die Arbeiten miteinander und über ihre jeweilige beschränkte Form hinaus zu interagieren. Dies funktioniert über Ton und Perspektiven. Das Prinzip der Lockung und Entziehung wird hier gleichermaßen eingesetzt: Es bleibt dem Betrachter unmöglich alles zu sehen. Die Verschiedenartigkeit von Vujičićs Objekten spiegelt sich in der Raumarchitektur der PLATFORM3 wider und wirkt dabei gleichzeitig ergänzend wie auch ausgleichend: Diagonalen kreuzen sich und heben sich auf, starre Materialien verbinden sich mit flexibler Geschmeidigkeit, Fragmentierung und Defragmentierung bestehen nebeneinander, Hell trifft auf Dunkel.

Das Verschwinden ist eine Thematik, die in Silvio Vujičićs Arbeiten immer wieder auftaucht – ob sich Stoff zersetzt, mit dem Hintergrund verschmilzt oder sich weiße Pigmente auf der schwarzen Magnetit Wand festsetzen. Interpretationen, die über das reine Sehen hinausgehen, werden in erster Instanz in den Hintergrund gedrängt. Der Raum selbst wird elegant zurückgenommen, um die Formen des Augenblicks erfahrbar zu machen und die statische Hülle der Ausstellungskonstitution zu negieren. So wird der Besucher nie denselben Augenblick nochmals erfahren können: Die Installation verändert den Raum, dogmatische Ausstellungsarchitekturen waren gestern. Bei Silvio Vujičić geht es ganz und gar um ein Dazwischen, um Hybridität, Verschwinden und Konfrontation.



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