Dienstag, 9. November 2010

inner colors - Silvio





Silvio Vujičićs künstlerisches Vorgehen ist auf den Prozess fokussiert. Ihn interessieren hybride Formen, die sowohl einer wissenschaftlichen Grundlage nicht entbehren, als auch künstlerischen und ästhetischen Gestaltungsregeln folgen. In früheren Arbeiten zeigte sich diese Hybridität in der Verknüpfung historischer Gegebenheiten mit einer zeitgenössischen Formensprache. So erfährt beispielsweise der Genter Altar von Jan und Hubert van Eyck aus dem 15. Jahrhundert, durch eine radikal minimalistische Darstellung von Seiten Vujičićs, einen zeitgenössischen Zugang: Der Alchemic Polyptic (2009) negiert den ursprünglich farbenprächtigen Flügelaltar, dieser erscheint in seiner Farblosigkeit und simplen Holzkonstruktion formal reduziert.

Denkt man nun, für Vujičić spielten Farben keine Rolle, täuscht das: Silvio Vujičić, ein moderner Alchemist, arbeitet durchaus mit Pigmenten. Pigmente sind auf dem jeweiligen Trägermedium unlöslich, besitzen Festkörpereigenschaften und weisen im pulverisierten Zustand eine kristallene Struktur auf. Diese Pigmentstabilität, die im Gegensatz zu dem Verhalten von Farbstoffen steht, ist der Ausgangspunkt von Vujičićs Arbeiten. Das letztendlich gewählte Trägermedium variiert dabei, ist aber immer in Verbindung mit Pigmenten anzutreffen. Die daraus resultierenden installativen Werke referieren somit auf eine ausdauernd recherchierte Pigmentsorte.

Für PLATFORM3 erarbeitet Silvio Vujičić, auf Grundlage der Pigmente Magnetit, Graphit, Kalzit und Muschelschalen-Pigmenten, eine raumgreifende, ortsspezifische Installation. Ausgangspunkt dieser Arbeit ist ein Besuch bei Kremer Pigmente GmbH & Co. KG in Aichstetten, Europas führendem Pigmentexporteur. Kremers Farblabor ist eine Art Wunderkammer der Farben. Trotz des dortigen farblichen Überangebots interessieren Silvio Vujičić die mineralischen Nicht-Farben unter den Pigmenten. Diese sind es auch, die ihn zurück nach Zagreb in sein Atelier begleiten. Die Experimentierphase beginnt.

Die Installation von Silvio Vujičić sensibilisiert den Betrachter, um einen ephemeren Moment greifbar zu machen. Zu jedem Zeitpunkt werden unterschiedliche Aspekte des Werkes erfahrbar, die in der Installation angelegt sind. Wann und in welcher Form diese stattfinden, bleibt für den Betrachter jedoch ungewiss. Der Ausstellungstitel inner colors spielt bewußt mit den inherenten Farben und der nach außen wirkenden, scheinbaren Farblosigkeit. Vujičić öffnet neue Zugangsmöglichkeiten zur Idee von Farbe und deren Wahrnehmung sowie zur ortsspezifischen Strukturierung des Raumes. Er teilt den Zentralraum, schließt den gewohnten Eingang und definiert Wege neu.

Insgesamt werden drei Werke von Vujicic innerhalb der installativen Anordnung inner colors präsentiert. Curtain (2008/2010) ist eine Arbeit, die nur am Eröffnungsabend zu sehen ist und sich in dessen Verlauf langsam auflösen wird. Sie besteht aus Polyvinylalkohol und zieht sich quer durch den Raum. Wasserspritzer, welche sich über eine Schlauchkonstruktion auf den Stoff ergießen, zersetzen den Vorhang in einem schleichenden Prozess. Ein flüchtiger Moment wird kreiiert. Curtain, hier als augenscheinlicher Vorhang, der letzten Endes aber nicht dazu dient, den Blick hinter die Kulissen zu verhindern, sondern bei geduldigem Ausharren das Dahinter durch seinen selbstzerstörerischen Moment offenbart.
Vujičićs zweite Arbeit findet sich in genau diesem Spannungsfeld wieder. Der Vorhang kann die Blicke für einen Moment stoppen, aber nicht den illustrativen Sound abwehren: Ein tosendes Geräusch dringt nach außen. Ursprung ist die mechanische Installation Cloud (2010), die ein weißes Pulver – ein Gemisch aus Muschelschalen-Pigmenten und Kalzit – in die Halle der PLATFORM3 pustet. Die mit Magnetit und Graphit geschwärzte Wand ergraut dadurch mehr und mehr, der weiße Staub verteilt sich unweigerlich in den Räumen. Eine zeitgenössische Form von Malerei passiert.
Flankiert wird das Geräusch von einem plätschernden Klang, dem dritten Werk innerhalb der Schau: Fountain (2010). Das Wasser des Brunnens ist mit Graphit-Pigmenten versehen, ein Lichtstrahler durchleuchtet die schimmernde Masse. Das Prinzip des Vorhangs wiederholt sich hier in umgekehrter Form. Eine fragile Komposition zwischen Tuch und Papier saugt sich mit Graphit-Pigmenten voll, wird immer blickdichter und letzten Endes schwarz. Ob es sich auch auflösen wird, ist nicht klar. Aber auf die eine oder andere Weise verändert sich auch diese Anordnung.

Die spezifische Ortsbezogenheit der Installation, die nicht explizit wahrgenommen wird, spielt eine wichtige Rolle für die Rezeption der Arbeit. Durch die Werkanordnung innerhalb der Ausstellung, beginnen die Arbeiten miteinander und über ihre jeweilige beschränkte Form hinaus zu interagieren. Dies funktioniert über Ton und Perspektiven. Das Prinzip der Lockung und Entziehung wird hier gleichermaßen eingesetzt: Es bleibt dem Betrachter unmöglich alles zu sehen. Die Verschiedenartigkeit von Vujičićs Objekten spiegelt sich in der Raumarchitektur der PLATFORM3 wider und wirkt dabei gleichzeitig ergänzend wie auch ausgleichend: Diagonalen kreuzen sich und heben sich auf, starre Materialien verbinden sich mit flexibler Geschmeidigkeit, Fragmentierung und Defragmentierung bestehen nebeneinander, Hell trifft auf Dunkel.

Das Verschwinden ist eine Thematik, die in Silvio Vujičićs Arbeiten immer wieder auftaucht – ob sich Stoff zersetzt, mit dem Hintergrund verschmilzt oder sich weiße Pigmente auf der schwarzen Magnetit Wand festsetzen. Interpretationen, die über das reine Sehen hinausgehen, werden in erster Instanz in den Hintergrund gedrängt. Der Raum selbst wird elegant zurückgenommen, um die Formen des Augenblicks erfahrbar zu machen und die statische Hülle der Ausstellungskonstitution zu negieren. So wird der Besucher nie denselben Augenblick nochmals erfahren können: Die Installation verändert den Raum, dogmatische Ausstellungsarchitekturen waren gestern. Bei Silvio Vujičić geht es ganz und gar um ein Dazwischen, um Hybridität, Verschwinden und Konfrontation.



Sonntag, 20. Juni 2010

Impressive art




Die diesjährige Art in Basel rückt sich selbst positiv ins Rampenlicht. Die Galerien präsentieren sich mit aussagekräftigen Positionen und das Rahmenprogramm ebnet den Weg in die Tiefen der zeitgenössischen Kunst.

Der ART PARCOURS lässt Künstler ortsspezifische Arbeiten innerhalb der Stadt entwickeln. Hier findet man Martha Rosler, John Bock, Nathalie Djurberg & Hans Berg, Angela Bulloch, Aurelien Froment, Ryan Gander, Damian Ortega, Cerith Wyn Evans und Daniel Buren. Ein hochkarätiges Sammelsurium an großen Namen. Die Arbeiten jedoch finden ihren eigenen Weg zum Betrachter und beeindrucken durch ihre schlichte und ganz impressive Art. Allein an Martha Roslers „Fair Trade Garage Sale“ arbeiteten noch bis zuletzt tatkräftig alle mit um den Flohmarkt pünktlich zur Eröffnung auch in Schwung zu bringen.

In den großen Basler Kunstinstitutionen Schaulager, Museum für Gegenwartskunst, Kunstmuseum, Kunsthalle und in der Fondation Beyeler, bezeugten die Häuser, dass sie der Kunstmesse an spannenden Ausstellungsformaten in nichts nach stehen. So fand man deklarierte Einzelpositionen, wie Matthew Barney, Rodney Graham und Felix Gonzalez-Torres oder eine Rosemarie Trockel, die, eingebettet in die vorhandene Sammlung des Kunstmuseums, Stellung beziehen musste. Ganz klar sticht Matthew Barney durch seinen überzeugenden und gleichzeitig äußerst sympathischen Größenwahn heraus: Sichtlich nachahmend wurde sein Weltverständnis von Hans Baldung Grien oder Lucas Cranach d. Ä. geprägt. Diese jedoch negiert er in gekonnter Weise. In letzter Instanz kulminiert Barney ihre Werke in einem Feuerwerk an Perfektion und gleichzeitiger Zerstörung. Die Ausstellung an sich hätte auch weniger Matthew Barney vertragen um diese innewohnende Schönheit aus der objektiven Hülle des Größenwahns zu schälen.

Das begleitende Filmprogramm wurde von Marc Glöde kuratiert. Über die Laufzeit der art finden sich unterschiedliche thematische Schwerpunkte. „Reference Points“ hieß die zweite Vorführung. Welche Beziehungen haben wir zum Medium selbst, gegenüber ikonischen Figuren, historischen Aspekten oder über das Selbst? Marc Glöde gibt sechs kurze, aber eindrucksvolle Antworten.

Und als ob das nicht alles bereits genug ist, kann man sich den ganzen lieben langen Tag von einem Talk zum nächsten hangeln und sich die Meinungen und Ideen der „K`s“ anhören: Kuratoren, Künstler und Kritiker aus aller Herren Länder sprechen mit-, über-, von- und untereinander.
Die Ortswahl des ART SALON ist schlecht gewählt. Inmitten der ART UNLIMITED und zwischen lautstarken Performance Aktivisten der ART STATEMENTS und dem turbulent mitgefieberten WM Spiel Spanien-Schweiz, ist die Akustik in dem Vier-Stellwände Podium einfach nur schlecht. Nebenan gibt es die ARTIST BOOKS und RECORDS zu bewundern sowie zwei kleine Tische der OFF PRESS mit ihrer Hitliste.
Wenn man das alles inhaltlich ernstnimmt und akustisch ignoriert, ist man beeindruckt von der Diversifizierung der geladenen Gäste und auch überrascht von der synoptischen Gesprächsqualität.

Zusammengefasste Höhepunkte dieser diskursiven Reihe sind am Ende die Frankly Talks mit Hans Ulrich Obrist. Vom Interviewer unabhängig entfaltet er seine Vorstellungen über die Kunst und lässt die Künstler ans Mikro. Obrist redet unbändig und zieht seine Zuhörer in den Bann. Er erzählt von seiner Sammelleidenschaft für Kunstkonzepte, die nicht umgesetzt wurden; lässt die Neugierde an neuen Inhalten spüren und bestätigt, trotz seiner etwas monotonen Sprechweise, dass das gesellschaftliche Interesse und die Faszination an zeitgenössischer Kunst momentan derart aus den verschiedenen Berufsfeldern aufgesaugt wird und eine aktive Beteiligung von Geisteswissenschaftlern unterschiedlicher Metiers boomt. Ist Kunst unsere neue Politik? Oder ist sie das nicht schon längst?
Die künstlerischen Positionen treten in jeglicher Ebene in den Vordergrund und lassen vergessen, dass es sich hierbei im Grunde um eine Kunstmesse handelt.

Freitag, 28. Mai 2010

Neo Rauch sedimentiert sich selbst

Dieser Blogeintrag kommt ohne eine gezielt eingesetzte Visualisierung aus. Ganz, wie das erlebte Interview in der Pinakothek der Moderne in München zwischen Dr. Bernhart Schwenk und Neo Rauch. Das Interview war längst ausverkauft und Plätze gab es nur noch im Foyer der Pinakothek, wohin das Zwiegespräch übertragen wurde. Leider, auch in diesem Fall, ohne das malerische Oeuvre eines Neo Rauch, welches das zentrale Gesprächsthema vorgab, zu zeigen. Dieser elementare Teil wurde in der Übertragung zugunsten der großformatigen Darstellung des Ausstellungsmachers und Kurators der Gegenwartssammlung der Pinakothek, Schwenk und des Künstlers, Rauch, ausgespart.
Ganz im Sinne der Sedimentierung, die Rauch unermüdlich wiederholte und als Selbstreferenz heranzog. Rauch spricht von der inneren Sedimentierung um seine eigene, ihm innewohnende Trennung von innen und außen zu markieren. Im Grunde ist das der Schlüssel zu seiner Person und zu seinem Werk: Der Versuch einerseits über seine andauernde Schaffenszeit zu sich selbst zu finden und darüber hinaus seinen eigenen Mythos zu erschaffen.
Seinen Mythos kreiert er indem er Bilder, die vor 1993 entstanden sind, die nicht in einer Sammlung gelandet sind, auf einer Auktion auftauchen oder selbst verschenkt wurden, zerstört. Ganz nach dem Prinzip: Konzentrierter Blick, gezielte Handhabung und steife Haltung.
Seine, O-Ton: „Reflexhemmungen“, sind deutlich sichtbar. Allerdings nicht innerhalb seiner Malerei, die eine Übersteigerung der Bildkonstruktionen und Interpretationen erfährt, sondern in dem gezielten Negieren seiner Frühphase.
Da wirkt die Antwort auf die Frage, warum er denn keine Frauen in seinen Gemälden ausführt, fast schon Saubermännisch korrekt: Rauch möchte seine „Köterinstinkte“ unterdrücken. Deshalb gibst keine Supermodels und keine Rubens Weiber. Beides Extreme über die sich kontrovers diskutieren lässt, aber im Grunde demonstriert er die vollkommene Negierung des Weiblichen. Irgendwie wartet man darauf, dass eine Frauenstimme aus dem Lautsprecher ertönt mit dem Aufruf, den kleinen Neo aus dem Småland abzuholen. Und das einzige, was in diesem Fall gespendet werden sollte, ist nicht ein zweites Gemälde von Neo Rauch für die Pinakothek der Moderne, sondern ein Sandkasten ganz für ihn allein, um seine äußeren Untiefen wie auch die Geschwindigkeit der Sedimentierung auszuloten.

Freitag, 7. Mai 2010

Neverland - oder der Versuch der Sakralisierung eines Nicht-Ortes




Das Gallery Weekend empfängt seine Besucher und fährt auf mit einem reichhaltigen Programm für die Sinne. Alles in allem besticht das Wochenende durch gut ausgewählte Positionen und ein hochwertiges Programm. Doch auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel und Aussetzer stechen dafür umso gewaltiger heraus.
Der „me Collectors Room“ in der Auguststraße, fast direkt neben den Kunstwerken, feiert die Eröffnung des Sammelsuriums des Herrn Olbricht. Im Grunde eine rührende Geschichte: Am Anfang war das Feuerwehrauto. Und eine Flamme der Sammelleidenschaft wurde entfacht.
Nichtsdestotrotz betritt man das Gebäude, eine Mischung aus einer hochpolierten H&M Imitation und einer höchst amerikanisierten Imbissbude. Während man sich so durch das Gebäude bewegt hat man eher das Gefühl schnell an die Kasse zu müssen um sich das Oberteil zu kaufen, das man noch nicht mal probiert hat, weil die Schlange vor den Umkleiden zu lang war.
Und plötzlich erhascht man durch eine Glasscheibe einen Blick in den Ausstellungsraum: Der Blick fällt auf einen bunt gemischten Saal in dem sich Antikes, Ready-mades und surrealistisch anmutende Gemälde die Hand geben. Ganz hinten an der Wand drängt sich ein Bild ins Blickfeld, welches, wie aus einem Märchenbuch entsprungen, einen Reiter auf einem Schimmel zeigt. Sofort ist klar, dass es sich um den King of Pop handelt. Obwohl der mittlere Bildteil vollkommen von einer Säule verdeckt ist. Man kann nur hoffen, dass die Säule aus statischen Gründen dort steht, denn ästhetisch kann man ihr nichts abgewinnen. Auch der Rest des Gebäudes ist nicht mehr als hübsch, aber schwarz. Wer allerdings einen perfekten Black Cube sehen möchte sollte sich in die Linienstraße 40 begeben: Roger Bundschuh und Cosima von Bonin haben sich so richtig ins Zeug gelegt und überzeugen mit ihren architektonischen Lösung gewaltig, ganz ohne Extras - einfach geil.
Die überbezahlten DJs langweilen sich an ihren Plattentellern zu Tode. Spaß sieht anders aus. Aber ihre Lieder bleiben nicht ungehört. So popt Michael Jackson aus den Boxen: „Live your live off the wall“. Eine kommentarlose Stille bleibt zurück. Wir zünden eine Kerze an.
This is it!

Sonntag, 18. April 2010

Lucky Luke überquert die Alpen - Rewind war gestern






Gleich doppelt konnte man in den letzten Wochen Arbeiten von Wolfgang Stehle begehen.
Im Zuge der Jubiläumsausstellung „Platform3 works“ anlässlich des Ein-jährigen Bestehens der Platform3 wurden die unterschiedlichsten künstlerischen Positionen in einer Gruppenausstellung gegen- und miteinander gezeigt. Unter ihnen, die Arbeit „Dalston Social Club“ von Wolfgang Stehle. Kurz darauf konnte man im Weltraum im Zuge einer Einzelausstellung konstellative Zusammenhänge weiterer ortsspezifischer Installationen von Wolfgang Stehle unter dem Titel: „Der Angriff auf die Architektur“ erfahren.
Auf den ersten Blick wird zunächst deutlich, dass seine Arbeiten nicht ausgesucht werden um sie dann auszustellen. Sie werden speziell für die jeweiligen Raumbedingungen konstruiert. Ob sie an einem anderen Ort identisch funktionieren, bleibt dahingestellt.
Auffällig ist die gedeckte Farbgebung, die durch ihre Grüntöne besticht, fast schon Tarnfarben wirkt. Tarnfarben werden eingesetzt um mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Das schlägt nun aber gründlich fehl, denn der gesamte Raum in der Platform3 besticht durch seine weißen, geradlinigen Flächen. Also passiert hier eher das Entgegen-der-Erwartung vermutete: Die Skulptur sticht heraus und bleibt nicht im Hintergrund versteckt.
Einerseits macht sie einen monumentalen Eindruck, durch die Größe, andererseits vermittelt sie einen leichten, fast schon faltbaren, papierhaften Charakter.
Letzten Endes kann man diesem Gebilde keine Funktion zuordnen, kein wirkliches Objekt, zumindest keines, für welches wir ein Wort oder gar ein Bild hätten.
Der Titel der Arbeit in der Platform3 ist „Dalston Social Club“. Im Kopf entwickeln sich Bilder, wie Lucky Luke sich auf sein Pferd schwingt und mit einer Fluppe zwischen den Zähnen in die Weiten der Prärie reitet. Aber dahinter steckt mehr. Wolfgang Stehles Inspirationsquelle ist ein unter Gestrüpp wiedergefundenes, halb zerfallenes Häuschen im Hinterhaus Garten von Freunden in Dalston. Von außen betrachtet spinnt sich von hier aus die weitere Interpretation des Werkes, welche in Ambivalenz zwischen geradliniger Perfektion und einschneidenden Asymmetrien pendelt.
Dalston ist ein Distrikt von London. Ehemals ein Arbeiterviertel, heute ein Ort der Gentrifizierung. „Dalston Social Club“ befindet sich in München, in Sendling, einem Ort, der durchaus noch von Industrie bevölkert ist und keine Anstalten macht sich in die Reihe der yuppisierten Gebiete einzuordnen. Trotzdem weist München mit seiner „gated community“, dem Glockenbach Viertel, dieselben Grundmuster auf. Der gesellschafts- und institutionskritische Ansatz dieser Arbeit sticht in den Vordergrund.
Die Arbeiten im Weltraum beziehen sich stark auf die architektonischen Verhältnisse des Raumes und schaffen Einheit. Sie sind nicht einfacher zu dechiffrieren. Wolfgang Stehle gibt keine Antworten, aber er stellt Fragen und erschafft komplexe Sinneswahrnehmungen. Einfach war gestern und das ist gut so. Wer dennoch eine Antwort möchte, sollte sich Razorlight zu Gemüte führen: „Don`t go back to Dalston“. But just come on back to art!

Sonntag, 28. März 2010

Silke Otto Knapp "Many many women" im Kunstverein München



Der Kunstverein München zeigt als Opener des neuen Direktors Barth van der Heide Silke Otto-Knapp. Dies in Zusammenhang mit weiteren Münchner Kunstinstitutionen, die sich auf den Schwerpunkt der Malerei abgestimmt haben. Silke Otto-Knapp, wer ist das eigentlich, was malt sie denn so? Das sind Fragen, die sich aufdrängen. Nachdem man ihren Namen bei Bilder googelt wird man schnell fündig: Die Gemälde wirken wie blasse Aquarelle. Wenn man sich davon nicht gleich abschrecken lässt und sich in die Ausstellung begibt wird man sogleich eines besseren belehrt.
Die Räume des Kunstvereins sind eher durch ihre Länge und die hohen Decken bestechend. Fensterreihen lassen überhalb der 3 Meter Grenze Licht ins Innere, Heizkörper sind in die Wand eingelassen und wirken mit einer ungefähren Höhe von 20cm wie Miniaturausgaben. Alles erstrahlt in zweireihigem, mittig verlaufendem Neonlicht. Dazwischen: Schattenhafte Wesen, die sich zu bewegen scheinen und in glänzendem Silber herausstechen. Die Hängung ist tiefer als „normal“ und folgt keinem strikten Abstandprinzip.
Raum und Bilder ergänzen sich wie in einem ästhetischen Ping Pong Spiel. Ein höchst dynamisches Hin und Her zwischen Bildern, Raum und Betrachter.
Die Technik, die sie verwendet ist Gouache, eine Art zu malen, die durch Impressionisten oft angewandt wurde, aber auch bereits in der Renaissance für Skizzen Verwendung fand. In dieser Form jedoch nichts antiquiertes aufweist, sondern wortwörtlich über den historischen Schatten springt.
Silke Otto-Knapps Sujet innerhalb dieser Ausstellung beschränkt sich auf Tänzer: Die Bewegung ist bis in den Raum noch zu spüren. Die gemalte Räumlichkeit verbindet sich mit dem realen Raum des Kunstvereins, die keine Ausblicke nach außen gewähren, jedoch eine Dynamik des Ping Pongs in die Klarheit der Räume einfließen lässt und somit ganz im Sinne des Ausstellungskonzeptes neue, performative Bildräume schafft. Eine elegant bewegte Malerei Ausstellung, die man nicht verpassen sollte.

Montag, 4. Januar 2010

Autostadt Wolfsburg - ein hypermodernes Wintermärchen



Wer glaubt, in der Autostadt Wolfsburg dreht sich alles nur um Autos, Technik und ist sowieso nur interessant für Männer, hat sich gewaltig getäuscht. Diese konstruierte Autostadt, mitten im Stadtkern gelegen, muss sich meiner Ansicht nach mit der blitzartigen Assoziation „Charlie und die Schokoladenfabrik“ auseinandersetzen. Das ganze Areal ist schneebedeckt, die verschieden- farbigen Lichter strahlen aus dem Schnee und die einzelnen Gebäude wirken durch ihre vielfältigen Formen spielerisch. Alles wirkt märchenhaft.

Und damit nicht genug, sobald man das Konzern Forum betritt, setzt die totale Vereinnahmung ein. Die erste allgemeine Frage nach Informationen, was man denn hier alles sehen kann, wird mit einem Schwall an Information beantwortet. Dies geschieht mit äußerstem Charme, der einen glauben lässt, niemand jemals zuvor hätte diese Frage gestellt. Man fühlt sich sogleich Besonders und ist überzeugt von der Kompetenz des Fachpersonals. Hier hat man noch Spaß an der Arbeit.

Das Ziel dieses Besuches ist einen Überblick über diese Stadt zu bekommen und die Arbeiten von Olaf Nicolai genauer unter die Lupe zu nehmen. Olaf Nicolai hat sich mit anderen Künstlern zusammen dem Innenraum eines Pavillons angenommen. Der Pavillon, einer von vielen, die jeweils eine Automarke repräsentieren, nennt sich „Premium Clubhouse“ und beherbergt die Marke Bugatti. Doch das Ziel rückt immer mehr in weite Ferne, denn sogleich beim Betreten dieses Gebäudes, wird man von freundlichen Herrn fast schon abgefangen, die einem alles über die Innengestaltung, die Installation, sowie über technische Details erzählen. Nie um eine Antwort verlegen und mit einer derartig gut gelernten Interaktionstaktik, dass man sich schon wieder so richtig willkommen fühlt. Das ist kein Einzelfall auf dem gesamten Gelände.

Diese unglaubliche Freundlichkeit, gepaart mit dem surreal-visuellen Eindruck wird aber noch getoppt von dem ständigen Versuch, die Marke so zu emotionalisieren, dass man am liebsten gleich ein Auto mit nach Hause nimmt: Scheiß auf Klimawandel, ich kann nicht mehr ohne. Man findet sich plötzlich in dieser Disney-artigen Welt, die aber zu real ist um sie nicht ernst zu nehmen. Mehr Realität geht nicht.

Am Ende des Besuchs genehmigt man sich noch einen Whiskey Punsch in der Highland Bar, direkt neben den Schlittschuh laufenden Kindern, zwischen den brennenden kleinen Lagerfeuern. Die eigentliche Kunstbetrachtung kam zu kurz, jedoch fühlt man sich unendlich informiert. Gehen möchte man nicht wirklich, aber irgendwann schließt eben auch die Autostadt ihre Tore, denn eine richtige Stadt ist sie eben doch nicht. Und trotz aller Absurdität steht am Ende der Entschluß: Wolfsburg, wir kommen wieder!